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Wie die Musikindustrie den Absatz behindert

Auch wenn die Industrie die Gründe für die angeblichen Umsatzrückgänge in den Privatkopierern gefunden haben will, gibt es da noch andere mögliche Ursachen, die gern verschwiegen werden. Die Probleme sind überwiegend hausgemacht, das eigene Versagen wird jedoch übersehen. Die Frage ist auch, ob man die Zahlen der Musikindustrie überhaupt ernst nehmen darf, denn wie Moses Avalon herausfand, wurden in Amerika im ersten Quartal 2004 10% mehr Platten verkauft als im Vorjahr, die RIAA gab jedoch einen Umsatzrückgang von 7% an.

Da mich das ewige Gejammer der Rechteverwerter zwar einerseits amüsiert, aber anderseits auch langweilt, weil schon lange keine Argumente mehr kommen, sondern nur noch Propaganda wie das Märchen von der Raubkopie, habe ich auf dieser Seite ein paar Dinge aufgelistet, die meinen Medienkonsum beeinflussen und wahrscheinlich auch dazu geeignet sind, andere Leute vom Kauf abzuhalten.

Revolutionäre Erkenntnisse sollte man nicht erwarten – das meiste wurde bereits an anderer Stelle geschrieben – doch manche Dinge kann man gar nicht oft genug wiederholen.

Die Musikindustrie ist nicht die einzige, die sich beklagt – die Filmindustrie nölt ebenfalls – sie jammert jedoch zweifellos am lautesten, tut aber gleichzeitig ihr bestes, um Umsatzrückgänge weiter zu begünstigen. Wichtig ist, zwischen Umsatzrückgängen und Verlusten zu unterscheiden. Die Musikindustrie scheitert zwar gerade daran, die Rekordergebnisse der neunziger Jahre zu wiederholen, das hindert sie jedoch nicht daran, weiterhin Millionen zu scheffeln und die Künstler (also die wirklichen Urheber) auszubeuten.

Das Millionenscheffeln soll hier gar nicht verdammt werden und die Ausbeutung der Urheber ist zwar bedauerlich, aber so läuft es eben in der Welt. Verachtenswert ist jedoch die heuchlerische Doppelmoral, mit der sich die Rechteverwerter in der Opferrolle sehen. Ein vernunftbegabter Kapitalist gibt sich entweder mit seinen Gewinnen zufrieden, oder er versucht sie zu steigern, aber er versucht nicht, andere Menschen für das eigene Versagen verantwortlich zu machen, denn das bringt keine Kohle. Genau das tun jedoch die Rechteverwerter.

Gleichschaltung der Medien

Die Zeiten, in denen man gewisse Musiksender noch hören konnte sind lange vorbei. Früher gab es für nahezu jede Musikrichtung einen eigenen Sender, oder zumindest ein eigenes Programm. Heute wird konsequent nur noch eine Musikrichtung gespielt. Der Hörer kann sich nur noch zwischen Müll, Müll oder Müll entscheiden, die Entscheidung fällt leicht.

Damit hindert man Musikinteressierte daran, neue Künstler kennen zu lernen und treibt die potentiellen Kunden zum Deutschlandfunk. Falls dahinter eine große Verschwörung stecken würde, um die politische Bildung des Bürgers zu fördern, wäre das zwar schön – dahinter steckt jedoch leider nur konzentrierte Inkompetenz.

Förderung der Talentfreien

Menschen mit Talenten haben für die Musikindustrie einen großen Nachteil: Talent ist oft mit Intelligenz verbunden, und Intelligente lassen sich nun mal nicht so leicht ausbeuten, wie talentfreie Dummbatze. Wenn man also Talentierte unter Vertrag nimmt, sichert man zwar einen lang andauernden Absatz, muss sich aber mit weniger Prozenten begnügen, da die bösen Künstler doch tatsächlich für ihre Leistung angemessen bezahlt werden wollen. Außerdem ist die Talentsuche vergleichsweise anstrengend: Talentierte gibt es relativ wenig, Talentfreie jedoch überall.

Alben von wirklichen Künstlern verkaufen sich auch noch lange nachdem das Marketing eingestellt wurde, und sind effektiv gesehen deutlich gewinnbringender. Alben von Talentfreien verkaufen sich nur so lange, wie sie aggressiv beworben werden, danach verschwinden sie im Abgrund und der nun fallen gelassene talentfreie Kontainerclown gleich mit.

Auch darüber muss sich niemand beklagen, das ist Evolution nach Darwin und die Talentfreien würden ohne die breite Unterstützung der Industrie noch deutlich früher scheitern. Zu beklagen ist jedoch die Raffgier der verantwortlichen Manager, die dazu führt, dass die Talentförderung zurück geschraubt wird. Sie ist aufwendig und steigert die Gewinne nur langfristig, bis dahin ist möglicherweise schon ein anderer Versager am Ruder, der davon profitieren könnte. Stattdessen konzentriert man sich auf die talentfreien Ergebnisse der Talent-Shows. Betont wird die Show, denn das "Talent" hat nur Alibi-Funktion.

Die selbst ernannten "Stars" nutzt man dann aus bis der "Ruhm" nachlässt, bis dahin hat man schon Ersatz-"Talente" gefunden. Langfristig muss man nicht denken, nach ein paar Jahren Schadensverursachung kann man sich als Manager einfach absetzen – eine dicke Abfindung ist garantiert.

Tim Renner, ehemaliger Chef von Universal Deutschland, kritisiert in einem Interview mit der Netzeitung ebenfalls die Konzentration auf Einwegbands. Auch wenn er legale Downloads als Diebstahl bezeichnet – Pawlow'sche Reflexe wird man nur schwer wieder los – so ist der Rest des Interviews doch lesenswert.

Dynamikkompression bis zum Verrecken

Weil der Umsatz nicht schnell genug zurück geht, wurde eine Beschleunigung erdacht: die übertriebene Dynamikkompression. Durch Dynamikkompression kann man jedes noch so gelungene Lied zur Lärmbelästigung transformieren, hervorragend geeignet, um auch den letzten Käufer zu vertreiben.

Wer weitere Informationen zu dieser Plage braucht, sei auf die Website von Wes Lindstrom verwiesen. Momentan sind dort leider alle Seiten leer, im Internet-Archiv sind die ursprünglichen Inhalte jedoch noch abrufbar.

Behinderung des Onlinehandels

Das Internet gibt es nicht erst seit gestern, dennoch hat es die Musikindustrie bis heute nicht vernünftig für sich eingesetzt. Denn dazu müssten sich die einzelnen Labels untereinander absprechen, und dazu fehlt die Lust. Von Zeit zu Zeit kommen zwar neue Musik-Plattformen hinzu, diese scheitern jedoch meist am Preis und am Versuch, dem Nutzer mit Hilfe von Digital-Restriction-Management vom Genuß abzuhalten.

Es ist nicht einzusehen, warum man für ein Album beim Download mehr oder genauso viel wie für den materiellen Erwerb zahlen soll. Solange die Industrie nicht darüber nachdenkt, kann sie das Projekt Internet gleich in die Tonne treten. Der Handel findet dann eben weiterhin bei eMule statt.

Einsatz von unwirksamen technischen Maßnahmen

Privatkopien gehören zum Geschäft dazu und sind absatzfördernd, denn sie ermöglichen es, vorbehaltlos neue Künstler kennen zu lernen. Da Volker Gringmuth bereits einige Argumente für die Privatkopie nennt, fasse ich mich hier kurz und beschreibe nur noch ergänzend meine Taktik zum Musik-Erwerb™:

Wenn ich in der Bücherei oder sonst wo CDs finde, die ich nicht kenne, nehme ich sie zum hören mit. Ein Großteil davon gefällt mir nicht, der wird dann nicht mal bis zum Ende gehört. CDs die mir gefallen kopiere ich, um in Ruhe zu entscheiden ob der Künstler mein Geld verdient oder nicht.

[C1-Scan von Air - Talkie Walkie. C2-Spitezenwerte von 208, bei derartigen Fehlern muss das Laufwerk interpolieren, die CD ist offensichtlich defekt.] Wenn ich mich dann nach ein oder zwei Jahren entschieden habe, kaufe ich mir ein anderes Album des Künstlers. Wenn mir dieses dann nicht gefallen sollte (noch nicht vorgekommen), sehe ich die Investition als Gegenleistung für das kopierte Album an, ansonsten profitiere ich doppelt. Auch der Künstler und die Musikindustrie profitieren in jedem Fall. Durch meine Kopien entstehen ihnen keine Kosten, mein Kauf bring jedoch Einnahmen.

Die Musikindustrie macht mir jedoch einen Strich durch die Rechnung, indem sie kaputte CDs auf den Markt bringt, weil sie glaubt, Kopien würden ihr schaden. Kaputte CDs kaufe ich nicht, die Industrie bekommt also auch kein Geld, und wie der nächste Abschnitt zeigt, bringen sie der Industrie auch sonst keine Vorteile.

Die Gruppe Air hätte eigentlich mein Geld verdient. Da ich 10000 Hz Legend kopiert habe, hätte ich Talkie Walkie gerne gekauft. Leider wird das Album nicht als Audio-CD angeboten, wie der C1-Scan zeigt. Wer die Fehlerwerte nicht einschätzen kann, kann meiner Seite C1-Scans mit CD-Doctor ein paar Vergleichswerte entnehmen. Bei einer akzeptablen CD gäbe es kein rot zu sehen. Dass Talkie Walkie kein Einzelfall ist, zeigen die beim Test des LiteOn DVDRW LDW-811S' angefallenen Messungen.

Das Kopieren hat übrigens keine vier Minuten gedauert, meine Kopie ist selbstverständlich C2-Fehler-frei und standardkonform. Ich hätte natürlich die bereits kopierte Audio-CD 10000 Hz Legend kaufen können, aber damit würde ich eine Gruppe unterstützen, die kein Problem damit hat, ihre Fans zu linken – mit Sicherheit der falsche Weg. Konsequentere Menschen boykottieren die Musikindustrie gleich komplett.

Die Kopierschutz-Versuche sind natürlich nicht vollständig unwirksam, sie verhindern zwar keine Kopien, als Abspielschutz sind sie aber in manchen Geräten gut einsetzbar. Von den acht CD-Laufwerken die ich hier in Benutzung habe oder hatte, ist keines in der Lage, den "Kopierschutz" als solchen wahr zu nehmen und mit C1-Scans kann man zwar überhöhte Fehlerzahlen feststellen – mehr aber auch nicht. Das ist eine Versagensquote von 100%, ein denkender Mensch hätte hier schon lange eingegriffen und wieder standardkonforme CDs gepresst. Oder noch besser, den Beta-Test intern durchgeführt.

Ich teile auch nicht die überraschend weit verbreitete Meinung, digitales Kopieren solcher Medien wäre nun verboten, analoges Kopieren aber weiterhin erlaubt. Dies wird zum Beispiel von der c't gepredigt, die sich auch mit der falschen Benutzung des Begriffs "Raubkopie" für die Verbreitung der Musikindustrie-Propaganda stark macht.

Der letzte Satz des UrhG § 95a zum Schutz technischer Maßnahmen lautet:

Technische Maßnahmen sind wirksam, soweit durch sie die Nutzung eines geschützten Werkes oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzgegenstandes von dem Rechtsinhaber durch eine Zugangskontrolle, einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung, die die Erreichung des Schutzziels sicherstellen, unter Kontrolle gehalten wird.

Dass man derartige "Technische Maßnahmen" nicht umgehen darf, besagt Absatz 1 des gleichen Paragraphen, und daran gibt es auch nichts zu rütteln. Wer die deutsche Sprache beherrscht, ist jedoch in der Lage, dem UrhG § 95a folgenden Kern zu entnehmen: Technische Maßnahmen sind wirksam, soweit durch sie die Nutzung ... von dem Rechtsinhaber durch eine Zugangskontrolle ... unter Kontrolle gehalten wird.

Dort steht eindeutig nicht: Technische Maßnahmen sind wirksam wenn die Musikindustrie das behauptet, daher ist es übertrieben, nur noch analog zu kopieren. Hätte der Gesetzgeber das gewollt, hätte er es geschrieben. Hat er aber nicht.

Wo der Rechtsinhaber nichts unter Kontrolle hält, hat er keine wirksame technische Maßnahme, und der Kopierende kein Problem – so einfach kann das Leben manchmal sein. Fehlinterpretierenden Journalisten und Juristen empfehle ich dringend, einen Aufbaukurs Deutsch für Emigranten zu belegen.

Die einzige Funktion von defekten CDs ist es also, den Umsatzrückgang zu beschleunigen, rechtlich bleiben sie beinahe unbedeutend. Nur beinahe deshalb, weil es eine Theorie gibt, der zufolge der absichtliche Einbau von Fehlern in CDs eine Straftat ist. In dem Artikel: Zur Strafbarkeit von Kopierschutzmaßnahmen auf Audio-CDs gemäß § 303a StGB wird dies gut, aber recht langatmig, begründet. Wichtig: der Täter ist hier die Musikindustrie, weil sie dem Kunden zustehende Daten unterdrückt.

Die Daten werden natürlich nur in wenigen Geräten unterdrückt, zum Beispiel in Autoradios und in manchen DVD-Playern. Bereits der Versuch ist aber strafbar.

Wirksame technische Maßnahmen im Sinne des Gesetzes wird es auch in Zukunft nicht geben, denn Medien verhalten sich ähnlich wie Predatoren (wer sie nicht kennt, das sind Aliens die sich unsichtbar machen können). Bereits Dutch, gespielt von Arnold Schwarzenegger wusste: If it bleeds, we can kill it.Wenn es blutet, können wir es töten.

Für Medien gilt: Wenn wir sie sehen und hören können, können wir sie kopieren.

Und noch ein Zitat vom damaligen CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn: Es gibt keinen Kopierschutz... bestenfalls Kapierschutz. Der von der Musikindustrie eingesetzte Kapierschutz ist leider recht wirksam.

Abenteuerliche Preise

Auch wenn eine gute CD sicher einiges Wert ist, und viele Leute wohl zur Not dazu bereit wären, noch deutlich mehr zu zahlen als bereits momentan verlangt wird, begrenzen hohe Preise den Absatz.

Die meisten Verbraucher verfügen nur über einen limitierten Geldbetrag der zu ihrer freien Verfügung steht und selbst die armen Jugendlichen, die sich verschulden müssen, um lebensnotwendige Dinge wie Klingeltöne zu beschaffen, bekommen irgendwann ihre Kredite gestrichen. Oft zu spät, aber wen interessiert's?

Die Musikindustrie sollte sich jedoch dafür interessieren, dass CDs nicht die einzige Möglichkeit sind, Geld auszugeben. Man kann also nicht davon ausgehen: halber Preis führt zu Verdoppelung der Verkaufszahlen, zu Verdoppelung der Produktionskosten, die Einnahmen bleiben aber gleich, was zu geringeren Gewinnen führt.

Stattdessen kann davon ausgegangen werden, dass niedrigere CD-Preise überproportionale Verkaufszahlen verursachen, da die Attraktivität auf Kosten anderer Konsumgüter zu nimmt. Das ist natürlich nur eine These, aber nachdem die Musikindustrie mittlerweile bewiesen hat, das kaputte CDs den Absatz nicht erhöhen, könnte sie ja einfach mal eine neue Testreihe starten.

Bei den Preisen sollte sie aber berücksichtigen, dass niemand zum Ladenkauf im Inland motiviert wird, wenn er das gleiche Produkt im Ausland deutlich günstiger bestellen kann.